Sonntag, 13. Juli 2014

Ein Tag in Birmingham

Nach einem ausgiebigen englischen Frühstück haben wir uns morgens zur attraktivsten Attraktion von Birmingham aufgemacht: der Cadbury World. Cadbury ist eine riesige, englische Schokoladenmarke, die hier überall die Süßigkeitenregale dominiert (und ziemlich lecker ist) und in Birmingham, wo sie vor über hundert Jahren angefangen haben, gibt es heute, verbunden mit den tatsächlichen Fabriken, ein riesiges Schokoladen-Besucherzentrum, das aussieht, als wäre es von "Charlie und die Schokoladenfabrik" inspiriert.
Da mussten wir natürlich hin.
Man beginnt in einem kleinen Dschungel, der einem zeigt, wo Kakaobohnen wachsen, kommt dann in das von den Spaniern eroberte Inka- und Aztekenreich, ein Erobererschiff, das den Kakao nach England bringt, und dann die Straße, in der sich der ursprüngliche Laden von George Cadbury befand. Damals, als sich die Herren der Gesellschaft in ihren Clubs getroffen und heiße Schokolade getrunken haben (Schokolade galt als Aphrodisiakum und deshalb als ungeeignet für Frauen).

Was wir übrigens interessant fanden, war ein Film über die Entwicklung von Cadbury von einem kleinen Laden in eine Fabrik. Die Cadburys waren eine Familie, die während der industriellen Entwicklung daran glaubten, dass man seine ArbeiterInnen gut behandeln muss, also haben sie ihnen Häusern mit Schulen und Sport- und Freizeiteinrichtungen gebaut und sie nur eine fünfeinhalb-Tage-Woche arbeiten lassen. Und weil ihre Schokolade so gut war, haben sie trotzdem überlebt.
Falls sich übrigens mal jemand fragt, warum auf der Schokolade immer "Dairy Milk" steht: die Schokolade enthielt ursprünglich keine Milch, aber dann war ein Enkel von George Cadbury in der Schweiz und hat gelernt, wie man Schokolade mit frischer Vollmilch herstellt - daraufhin gab es neben der normalen Schokolade auch noch Cadbury mit Milch ("dairy milk"), die sich innerhalb kürzester Zeit zur beliebtesten Schokoladenmarke entwickelt hat und seitdem die Grundsubstanz für fast alle Cadbury Schokoladen ist.

Von dort ging es weiter in das Umpa-Lumpa, äh, Schokoladenbohnen-Dorf
und dann kamen wir vom interessanten zum praktischen Teil (Glaswände, durch die man direkt in die Fabrik sehen kann) und dann zum appetitlichen Teil:
Kostproben, Schokoladenausstellungsstücke
 Pralinenherstellung und Herstellung von handgemachten Schokoladen in der Cadbury Fabrik

Von dort aus kommt man in den Ort der Versuchung: den (laut Werbung) größten Cadbury-Laden der Welt, in dem es so viel Schokolade in so vielen Sorten gibt, dass man die Qual der Wahl hat, wenn man sich entscheiden muss.
Und wenn man mehr als eine bestimmte Summe ausgibt, bekommt man ein Geschenk dazu und da Lalita nur ein Pfund darunter war, kommt sie hier gerade von der zweiten Runde durch den Laden zurück, mit Schokoriegel Nummer 17 für ihre Freunde.

Dann mussten wir dringend unsere paar Kilo Schokolade ins Hotel bringen und sind von dort aus ins Stadtzentrum spaziert.

Dort gibt es ein Museum der englischen Arbeitergebäude des 19. und 20. Jahrhunderts: die sogenannten Back to Backs. Während der industriellen Revolution, die unter anderem von Birmingham ausgegangen ist (es gab hier die Lunar Society, der zum Beispiel auch James Watt angehört hat), gab es hier soviel Bedarf an Arbeitskräften, dass mehr Unterkünfte geschaffen wurden, indem man in normale Häuser eine Zwischenwand eingezogen hat - normalerweise nur einen Backstein dick. Dadurch entstanden Wohnungen, die aus drei Räumen bestanden: unten Küche und Wohnraum, darüber ein Schlafzimmer und darüber noch ein Schlafzimmer. Jeweils ziemlich klein, ungeheuer feucht (so feucht, dass man alte Tapete nicht abziehen konnte, sonst hätte sich die Wand mit aufgelöst, also musste man immer auf die alte Tapete drauf kleben: 28 Schichten haben sie in einem Haus gefunden. Wegen der Feuchte lag die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei Mitte zwanzig) und praktisch Rücken an Rücken mit den Nachbarn.
Zusammen mit bis zu zehn Kindern pro Familie führte diese Art der Bauweise zu 11 halben Wohnhäusern mit bis zu sechzig Personen, die um einen Innenhof gewohnt haben, der immerhin drei Toiletten und zwei Waschhäuser enthielt.
 Das Museum zeigt die Wohnräume einer relativ wohlhabenden jüdischen Familie aus den 1840ern, einer Glasaugenherstellerfamilie aus den 1870ern und einer relativ armen Schmiedfamilie aus den 1930ern. Gelebt wurde so teilweise bis in die 1960er Jahre und die Häuser, die wir gesehen haben, gehörten zu den besseren: in anderen Teilen der Stadt hatten die Häuser nur Fußböden aus festgestampfter Erde, keine Türen und keine Fenster (neben anderen unsinnigen Steuern wie einer Tapetensteuer gab es auch eine Steuer auf Fenster, sodass einige Familien sie sich nicht leisten konnten). Kaum vorstellbar.
Aber es ist ein schönes Museum: da alles rekonstruiert ist, darf man alles in die Hand nehmen, aufmachen, überall reingucken und sich überall hinsetzen.


Von dort ging es weiter zu den zentralen Sehenswürdigkeiten: der kleinsten Kathedrale in England,

 dem Victoria Square, der ein bisschen lustig ist: benannt nach Queen Victoria und ausgestattet mit einer Statue von Queen Victoria (auf dem linken Bild im Hintergrund rechts). Aber es gibt auch eine neue Statue von einer nackten Frau in einem Springbrunnen (die sogenannte "floozie in the jacoozie"), die so auf dem Platz positioniert ist, dass Queen Victorias (ja immer leicht kritischer) Blick direkt missbilligend auf der nackten Frau ruht.

 Von dort aus ging es weiter zum Centennial Square, der die neueren Gebäude beherbergt: die wahnsinnig teure und ziemlich eindrucksvolle neue Bibliothek, die Symphony Hall und eine Statue von drei der wichtigsten Mitglieder der Lunar Society (ich weiß nicht mehr, wer wer ist, aber einer davon ist James Watt).

 Ich hatte ja an sich kaum jemals etwas von Birmingham gehört, bevor wir angefangen haben, mit der dortigen Gruppe zusammenzuarbeiten, was an sich schon bemerkenswert ist, weil Birmingham eine Millionenstadt ist, die zweitgrößte Stadt in England nach London und einen internationalen Flughafen ist. Wovon ich aber erst recht noch nichts gehört hatte, ist, dass Birmingham früher ein riesiges Kanalsystem hatte (technisch gesehen insgesamt mehr Kilometer Kanäle als Venedig), um die Waren für die Industrie gut transportieren zu können.














Viele davon sind mittlerweile geschlossen, aber einige davon sind immer noch erhalten, man kann daran entlang spazieren und sie führen meist entweder an Gärten hinter Häusern entlang oder an Unmengen Restaurants und Bars vorbei.

Am Ende eines der Kanäle befindet sich die "Mailbox", vier Stockwerke voller Geschäfte, aber an der Seite Richtung Kanal voller Cafés, Bars und Restaurants, wo wir noch einen Kaffee trinken waren, bevor wir uns auf den Rückweg gemacht haben.
Denn: in Birmingham gibt es ansonsten (außer Kunstgalerien und ein paar Museen) nicht viel zu sehen. Und ich fand das sehr sympathisch: diese Stadt versucht (so weit wir sehen konnten) nicht verzweifelt, irgendwelche Möglichkeiten zu finden, um mehr TouristInnen anzulocken, sondern wirkt einfach so wie ein ganz netter Ort zum Leben. Irgendwie ehrlich und nicht aufgesetzt und damit ziemlich sympathisch.

Abends haben wir uns den Weg zum Abendessen durch Dutzende von Junggesellen- und Junggesellinnenabschiedsparties gebahnt (noch nie und nirgends, nicht mal in Las Vegas, habe ich so viele betrunkene Gruppen von Frauen in gleichen, pinken T-Shirts und Männer in merkwürdigen Kostümen gesehen. Hier die Umpa-Lumpa-Fraktion)
und dann war der Tag leider auch schon wieder vorbei.

Abends bei einem Glas Wein an der Bar haben wir dann festgestellt, dass wir Freitagabend (ich, seit einer Weile wartend in der Lobby und müde, Lalita, nachts im Dunkeln alleine auf der Autobahn und müde) beide kurz dachten, dass wir auch einfach mal ein entspanntes Wochenende zuhause hätten haben können, aber dann am nächsten Tag beide glücklich waren, dass wir uns getroffen hatten :)

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